Bertelsmann-Studie
Wenn das Gefühl, nicht gehört zu werden, über einen längeren Zeitraum anhält, steigt die Gefahr, dass Menschen sich von politischen Prozessen abwenden, zeigen Studienergebnisse © IMAGO / serienlicht
Wenn Einsamkeit die Demokratie gefährdet

Laut einer Studie der Bertelsmann-Stiftung fühlt sich fast die Hälfte der befragten Personen zwischen 16 und 30 Jahren einsam. Das kann auch Folgen für die Demokratie haben - wenn sich diese Menschen von politischen Prozessen abwenden.
Einsamkeit ist ein wachsendes gesellschaftliches Phänomen in Deutschland, besonders auch unter Jugendlichen. Sich allein und verlassen zu fühlen, ist zwar ein individuelles Gefühl, aber es kann zu einem gesellschaftlichen und politischen Problem werden, denn es gibt einen Zusammenhang zwischen Einsamkeit und dem Vertrauen auf die Demokratie. Das zeigt eine Studie der Bertelsmann-Stiftung.
Rund 2.500 Personen zwischen 16 und 30 Jahren wurden für die Untersuchung im März 2024 in Deutschland repräsentativ befragt. Die Hälfte von ihnen gab an, sich stark oder moderat einsam zu fühlen. Die Gruppe der Einsamen hat laut den Studienautoren auch weniger Vertrauen in Politik und Demokratie. Langfristig besteht die Gefahr, dass sich diese Menschen von politischen Prozessen abwenden.
Wo liegt der Zusammenhang zwischen Einsamkeit und Vertrauen in Politik?
Das Gefühl, sich politisch aktiv einbringen zu können und mitzubestimmen, ist bei Jugendlichen, die sich einsam fühlen, geringer ausgeprägt als bei Jugendlichen, die sich nicht einsam fühlen. Demokratie lebt aber auch von politischer Mitbestimmung.
Besonders von Einsamkeit betroffen sind offenbar arbeitslose junge Menschen, solche mit niedrigem Bildungsniveau, junge Frauen sowie Personen mit Migrationshintergrund. Über 80 Prozent von ihnen glaubt offenbar nicht, durch eigenes Handeln gesellschaftliche oder politische Veränderungen auf lokaler Ebene bewirken zu können, wie die Ergebnisse der Bertelsmann-Studie zeigen.
Gefährliches Gefühl: Nicht Gehörtwerden
Wenn das Gefühl, nicht gehört zu werden, über einen längeren Zeitraum anhält, steigt die Gefahr, dass Menschen sich von politischen Prozessen abwenden. Sie gehen nicht mehr zur Wahl, engagieren sich nicht mehr gesellschaftlich oder politisch und werden anfälliger für populistische oder verschwörungsideologische Positionen. Einfache Erklärungsmuster und eindeutige Schuldzuweisungen bieten dann eine Form von Zugehörigkeit, Sichtbarkeit und politischer Einflussnahme, die sonst fehlt, heißt es in der Bertelsmann-Studie.
Man habe es aber nicht mit kausalen Zusammenhängen zu tun, erklärt die Soziologin Claudia Neu, Autorin des Buches „Einsamkeit und Ressentiment“. Nicht jeder einsame Mensch vertrete eine antidemokratische Haltung. Umgekehrt sei nicht jeder Mensch, der antidemokratische Haltungen vertrete, auch einsam.
Dennoch gibt es Zusammenhänge, betont Neu. Die Studie „Extrem einsam?“ von 2023 zeigt eine Verbindung zwischen Einsamkeit und antidemokratischer Haltung bei Jugendlichen mit Blick auf Verschwörungsmythen. Die Ergebnisse der Studie „Die distanzierte Mitte“ zeigten auch bei Erwachsenen „leichte Zusammenhänge zwischen Einsamkeit und antidemokratischen Haltungen von Populismus bis hin zur Billigung von politischer Gewalt“, sagt Claudia Neu.
Was unterscheidet die Haltung einsamer von der nicht einsamer Menschen?
Einsame junge Menschen seien nicht weniger an Politik und Gesellschaft interessiert als andere, zweifelten aber stärker an ihrer eigenen Wirksamkeit und daran, dass die Politik für ihre Belange ein offenes Ohr hat, erläutert Anja Langness, Co-Studienautorin der Bertelsmann-Studie.
Die Folge ist, dass junge Erwachsene sich in der eigenen Stadt oder Gemeinde oder im eigenen Dorf eher weniger dafür verantwortlich fühlen, Veränderungen anzustoßen, möglicherweise, weil sie es sich nicht zutrauten, schreiben die Studienautorinnen.
Wie schon die Ergebnisse der Studie „Extrem einsam“ zeigen auch die neuen Bertelsmann-Erkenntnisse, dass solche jungen Menschen mehr zu autoritären Einstellungen neigen und empfänglicher für Verschwörungserzählungen sind. Das könne zu einer echten Gefahr für die Demokratie werden, warnt die Bertelsmann Studie.
Welche Handlungsempfehlungen geben die Fachleute?
Junge Menschen sollten gezielt angesprochen und aktiv eingebunden werden, empfehlen die Autorinnen der Bertelsmann-Studie. Es braucht kostenlose und offene Angebote im Freizeitbereich wie Jugendzentren, Stadtteil-Treffpunkte und öffentliche Plätze, die für Jugendliche attraktiv sind.
Darüber hinaus sollten Kinder und Jugendliche stärker politisch auf Ebene von Städten und Gemeinden partizipieren, etwa in Jugendparlamenten oder wenn Entscheidungen anstehen, ob ein neuer Sportplatz oder Spielplatz gebaut werden soll.
Die Ergebnisse der Studie zeigten auch, dass das Gefühl von Anerkennung und sozialer Zugehörigkeit für junge Menschen eine wichtige Motivation sein könne, sich einzubringen. Sie erhofften sich, durch Engagement gesehen und wertgeschätzt zu werden. Politische Teilhabe könne also auch präventiv gegen soziale Einsamkeit wirken.
Was unternimmt die Politik gegen Einsamkeit?
Bundesfamilienministerin Karin Prien (CDU) hat am 26. Mai die bundesweiten Aktionswochen gegen Einsamkeit eröffnet. Besonders die Forschung zu Einsamkeit bei Kindern und Jugendlichen soll gestärkt werden, um zielgenaue Maßnahmen entwickeln zu können.
Laut Koalitionsvertrag wollen Union und SPD die Strategie der Ampel-Regierung weiterführen und die zunehmende Einsamkeit in der Gesellschaft bekämpfen.
In Großbritannien gibt es bereits seit 2018 einen Staatssekretär für Einsamkeit. Eine von vielen Maßnahmen ist das sogenannte Social Prescribing: Soziale Aktivitäten wie Kochkurse, Wandergruppe oder Stand up Comedy werden auf Rezept von Ärzten, Therapeuten oder Wohlfahrtsverbänden verschrieben. Mehr als 2,6 Millionen Briten haben seit 2019 ein solches Rezept erhalten – mit positivem Ergebnis: Wer beim Social Peering mitmacht, muss deutlich seltener zum Arzt, zeigt die Forschung.
tha